Nancy, Nouveaux und Navigationsnöte
- Snev

- 14. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Juni
Ich hatte geschlafen wie ein König im Klappbett. Der Plan für den Tag: Mit dem Fahrrad nach Nancy. Die Stadt des Jugendstils, der gusseisernen Träume und goldenen Platzfassaden. Die Navigationsapp versprach eine malerische Strecke entlang des Kanals. Ich versprach mir selbst: „Diesmal wird alles entspannt.“
Spoiler: wurde es nicht.
Ich parkte den Bus strategisch auf einem schattigen Seitenparkplatz und schwang mich bei 34 Grad in den Sattel. Der Kanal glänzte in der Ferne – die App jedoch entschied, mir erst die rauchigen Reize der Industriegebiete zu zeigen. Ich sah mehr Lagerhallen als Libellen, fuhr an Betonwänden entlang, die nach Motoröl rochen, und fragte mich kurz, ob das alles ein missverstandener Kunstgriff sei.
Dann: die Schule der École de Nancy. Ein kleines Paradies mit einem Garten, der aussieht, als hätte ein verliebter Bildhauer dort Picknick gemacht. Skulpturen, Schatten, Stille. Ich blieb. Und kaufte das Kombiticket fürs Maison Majorelle. Wer Kunst liebt und sich jemals gefragt hat, ob ein Türgriff erotisch sein kann – der sollte da hin.
Nach zwei Stunden Ästhetik und geschnitztem Sinneseindruck radelte ich weiter zum Place Stanislas. Gold, Gitter, Grandeur – der Platz ist Versailles auf Espresso. Direkt daneben die erste Notre-Dame von Nancy. Die zweite folgt später. Nancy ist da großzügig und Nancy hat nicht nur Stil – Nancy ist Stil.
Doch plötzlich fiel mein Blick aufs Handy. 15 % Akku. Keine Ahnung, wo ich bin. 17 km bis zum Bus. Ein bisschen Schweiß, ein bisschen Panik, eine Prise Verzweiflung. Ich fragte mich durch Bars und Bistros. Man erklärte mir freundlich, dass man nur iPhones bediene. Ich hingegen fühlte mich langsam wie ein Android auf der Flucht. Schließlich kaufte ich eine hoffnungslos unterdimensionierte Powerbank, leer natürlich. C’est la tragédie.
Eine Kassiererin mit Herz für verlorene Radreisende ließ mich an ihr privates Ladegerät. Während mein Handy langsam zu sich kam, zerfloss mein Plan für das koreanische Abendessen langsam zu einem Traum aus Sojasauce.
20 % Akku. 11 Kilometer. Temperatur: Hochofen. Challenge accepted – again.
Ich trat in die Pedale wie ein Mensch, der sich selbst überholen will.
Und dann: Ich fand den Kanalweg. Den echten. Und er war… wunderschön. Wasser, Bäume, Wind im Gesicht. Goldene Stunde für verlorene Seelen.
Mit letzter Kraft – und immerhin 15 % Akku – erreichte ich den Gratis-Campingplatz. Gratis Wasser. Gratis Strom. Frankreich, ich liebe dich. Leider voller Wohnmobile in Busgröße. Bleiben? Nein. Ich brauchte Vorräte. Und Ruhe. Also weiter. Supermarkt. LPG für 84 Cent. Noch ein kleines Curry gekocht.
Dann ein See. Ein Platz. Und als ich gegen halb drei vom Donner geweckt wurde, dachte ich: Das ist es.
Das Leben ist vielleicht nicht immer planbar. Aber wenn Kunst, Akku-Krisen, freundliche Kassiererinnen und goldene Plätze in einem Tag vorkommen – dann bin ich ziemlich genau dort, wo ich sein will.
C’est la vie, mon ami.








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